Dao Medizin

Qi Bo und Huang Di, die zwei legendären Gründungsfiguren der chinesischen Medizin, formen in ihren Dialogen den Inhalt des Buches Huang Di Nei Jing (黄帝内经). Dieser Klassiker stellt uns die beiden als Wesen auf einer hohen Stufe der Selbstkultivierung vor, als Heilige, welche ganz aussergewöhnlich befähigt waren zur Meditation mit dem Dritten Auge und zur Visualisierung der Strukturen des Körperinneren. Wenn es dort heißt, „Alle Krankheit hängt zusammen mit dem Zustand des Qi." (百病皆气), so geht es um nichts weniger als eine Erforschung des ganzen Menschen in seiner körperlichen und seelisch-geistigen Dimension.

Das medizinische System des Alten China umfasst beides, eine exakte Kenntnis des Sichtbaren unter Bewahrung der dem Auge unsichtbaren Entitäten. Physiologie und Pathologie vereinen strukturübergreifend die unsichtbaren Kräfte Jing (Essenz), Qi (Energie) und Shen (Geist) mit der sichtbar-materiellen Morphologie des Körpers, wie Sekreten, Fleisch, neuronalen Vorgängen etc.. Sinn für die Leere und gleichzeitige deskriptive Erfassung der Lebensphänomene bilden eine Kombinatorik, innerhalb derer Untersuchungen mithilfe des bloßen Auges mit solchen der meditativen Introspektion harmonisiert werden.

Die heilkundliche Kultur des Dao (im weiteren, allgemeinen Sinne) beschäftigt sich in ihrem einen Überlieferungsstrang mit den Methoden zur individuellen Beherrschung von Körper und Seele und deren Interaktionen. Zum anderen geht es aber auch um professionelle Therapie und Vorbeugung von Krankheiten innerhalb des Verhältnisses von Arzt und Patient. Hierzu ist die mehrdimensionale Analyse der äußeren Ursache, der inneren Ursache und der ursprünglichen Ursache bei vorliegenden bzw. sich anbahnenden Krankheitsgeschehen erforderlich. Eine plastische Erfassung der Symptomatik durch die Drei Ursachen fördert Bedingungsverhältnisse zu Tage, welche der modernen Medizin entgehen.

Hinter der Überlieferung zur Praxis der Selbstkultivierung, einer Art systematisierter Übeanweisung auf der Suche nach der Wahrheit, verbargen sich für lange Zeit das Ausbildungssystem und die konkreten therapeutischen Anweisungen aus der Dao Medizin (im engeren, ärztlichen Sinne). Ihr Wissen wurde exklusiv Generation für Generation vom Meister an den Schüler weitergetragen und blieb weiteren Kreisen unbekannt.

Auch deswegen besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen der sogenannten ‚Chinesischen Medizin' (TCM) und der Dao-Medizin. Normalerweise hat heutzutage der Studierende der TCM lediglich im Selbststudium Nei-Gong oder auch die lebensverlängernden Praktiken aus dem Dao kennen gelernt. Als Autodidaktiker kann er jedoch nicht tief genug einsteigen. Es fehlt ihm an Möglichkeiten, die Shen-Ebene ganzheitlich in seine klinischen Anwendungen einzubringen. Diagnose und Differentialdiagnose verbleiben dann oftmals innerhalb der Begründungsebenen interner und externer Faktoren, und das eigentliche Ursprungsgeschehen der Krankheit steht ausserhalb seiner ärztlichen Bewertungskriterien.

Dreifach sind die unsichtbaren Kräfte im Menschen (Jing, Qi und Shen), doch die TCM nimmt im Allgemeinen nur zwei von ihnen wahr (Jing und Qi). Unterschiede erwachsen zwischen TCM und Dao-Medizin also in der Hauptsache aus der Stärke bzw. Schwäche der Selbstkultivierung des Arztes und der unterschiedlichen Tiefe seiner Betrachtung mit dem Dritten Auge.

Wie ein endloser Strom durchziehen Erfahrungen und Errungenschaften der Dao-Kultur die Geschichte der chinesischen Medizin. Unablässig bereichert und komplettiert die Überlieferung Theorien und Methoden der aktuellen chinesischen Medizin. In China können beide medizinischen Ausrichtungen heutzutage aber harmonisch koexistieren und sich gemeinsam entwickeln. Die diagnostischen Methoden der TCM sind vor allem: visuelle Beobachtung, Riechen, Befragung des Patienten und das Fühlen des Pulses. Die ursprüngliche Dao-Medizin nutzt darüber hinaus das eigene Qi, Licht und Shen des Diagnostikers. Ihre therapeutischen Maßnahmen nutzen somit noch intensiver die gesundheitsfördernden Wechselwirkungen von Jing, Qi und Shen, denn die wahre Medizin aus dem Dao setzt auf die Wirkkräfte unsichtbarer Substanzen, Anti-Substanzen, Licht und Klang und verwendet daneben auch die heilende Energie von Energiezeichen und Sprüchen (u.a.).

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